An symbolischer Dramatik war der Präsidentschaftswahlkampf 2012 in Südkorea kaum zu überbieten. 25 Jahre nach der Demokratisierung des Landes traten die Tochter des Militärdiktators Park Chun Hee und der Menschenrechtsanwalt Moon Jae In gegeneinander an. Moon musste in den 70er Jahren nach Studentenprotesten gegen die Militärdiktatur ins Gefängnis.
Mit Namensänderung das schlechte Image bekämpfen
Bis wenige Wochen vor der Wahl war allerdings mit dem Universitätsprofessor und Softwareunternehmer Ahn Chul Soo noch ein dritter Kandidat im Rennen, der mit seinem Charisma und dem Image eines Mannes, der für eine saubere Politik jenseits aller Parteienstreitigkeiten steht, besonders unter den jungen Wählenden viel Zuspruch fand. Die konservative Saenuri Partei und die oppositionelle Democratic United Party (DUP) Moon Jae Ins haben in der Bevölkerung wegen ihrer innerparteilichen Kämpfe und Intrigen ein schlechtes Image, da sie den Eindruck vermitteln, die Parteien dienten vor allem der Austragung persönlicher Rivalitäten und nicht der Erreichung politischer Ziele. Um vom schlechten Parteimage wegzukommen, änderte Park Geun Hye den Namen ihrer Grand National Party zu Saenuri (New Frontier Party).
Ahn Chul Soo verstand sich als saubere Alternative zu Moon Jae In, dem Kandidaten der für ihre Gockelkämpfe berüchtigten DUP. Beide Kandidaten konnten sich jedoch nicht darauf verständigen, wer für die Linke als Präsidentschaftskandidat antreten sollte. Am Ende verzichtete Ahn auf die Kandidatur, um die Stimmen der Linken nicht zu splitten. Moon Jae In verlor allerdings die Wahl, auch weil viele junge Menschen – möglicherweise aus Frust über Ahns Rückzug – nicht wählen gingen. Umgekehrt war die Wahlbeteiligung bei den über 50-Jährigen außergewöhnlich hoch. Zudem scheint der Wahlkampf im Internet anders als bei früheren Wahlen in Südkorea nicht mehr ausschließlich eine Sache der jüngeren Bevölkerung zu sein. Und beim ersten Wahlkampf, bei dem die sozialen Netzwerke eine große Rolle spielten, engagierte sich das konservative Lager ebenso stark wie die Linke. Mit 51,6 gegen 48 Prozent hat Park Geun Hye die Wahl gewonnen. Die südkoreanische Gesellschaft aber ist in zwei fast gleichstarke Lager gespalten. Die Präsidentin muss versuchen, sie wieder zusammenzubringen.
Park Geun Hyes Umgang mit der Vergangenheit
Wenn Park Geun Hye in den Präsidentenpalast einzieht, kehrt sie an den Ort ihrer Kindheit zurück. Nach dem Tod ihrer 1972 bei einem Attentat ums Leben gekommenen Mutter hatte sie gar an deren Stelle die Aufgaben einer First Lady Aufgaben wahrgenommen. Nach dem Tode ihres 1979 ebenfalls bei einem Attentat getöteten Vaters zog sie sich aus dem öffentlichen Leben zurück. 1998 kehrte sie in die Politik zurück und gewann für die konservative Grand National Party einen Parlamentssitz. Die Partei hatte einst ihr Vater gegründet.
Ein Großteil der älteren Wählerinnen und Wähler sieht in Park Geun Hye die Tochter des Mannes, der Südkorea zu einem modernen und überaus erfolgreichen Staat gemacht hat. Vor allem für die jüngere Bevölkerung ist sie jedoch eine Repräsentantin der verhassten Diktatur. Park, eine kühle, strategisch denkende Politikerin versuchte in ihrem Wahlkampf beide Lager nicht zu verprellen. Bezeichnenderweise besuchte sie nach ihrem Wahlsieg die Gräber sowohl ihres Vaters als auch von dessen demokratischem Gegenspieler, dem späteren Präsidenten und Begründer der ‚Sunshine‘ Politik, Kim Dae Jung. Zwar bedauert sie die Verbrechen der Diktatur, doch zu einer eindeutigen Distanzierung von der Unterdrückungspolitik ihres Vaters ist sie nicht bereit.
Die Abkehr von Lee Myung Baks Politik
Park Geun Hye ebenso wie Moon Jae In und auch Ahn Chul Soo versprachen im Wahlkampf eine Abkehr von der Wirtschafts- Sozial und Außenpolitik des noch bis Februar regierenden Präsidenten Lee Myung Bak. Lee betrieb eine Wirtschaftspolitik, die ganz an den Interessen der großen Chaebols ausgerichtet war. Chaebols wie Samsung und Hyundai sind Firmenkonglomorate, die mittels undurchschaubarer Beteiligungskonstruktionen von der jeweiligen Gründerfamilie kontrolliert werden. Die Bevorteilung dieser Firmengruppen durch die Politik ist ein wesentlicher Grund dafür, dass es in Südkorea keinen unabhängigen und innovativen industriellen Mittelstand gibt. Die vielen kleineren Firmen, fast allesamt Zulieferer der Chaebols, werden von diesen rücksichtslos ausgepresst, so dass sie nur äußerst niedrige Löhne zahlen können, ein Grund für das Einkommensgefälle in Südkorea. Ohne ausreichende Gewinnmargen haben sie zudem keine Ressourcen für eine eigene Forschung und Entwicklung und bleiben so immer in der Abhängigkeit der Chaebols. Nach einem Treffen mit Führern der fünf größten Chaebols nach ihrer Wahl sagte Park Geun Hye, es sei Zeit für die Konglomerate, deren Entstehung von ihrem Vater maßgeblich befördert worden sei, nicht mehr nur an die Profitmaximierung zu denken.
Alle drei Kandidaten sprachen von der Notwendigkeit einer „Demokratisierung der Wirtschaft“ und forderten zudem die Schaffung von Arbeitsplätzen und eine Änderung des Beschäftigungssystems, das die Realisierung eines qualitativen anstelle des bisherigen quantitativen Wirtschaftwachstums zum Ziel hat. Schon im Wahlprogramm ihrer Partei bei der Parlamentswahl im April 2012 hatte Park die Forderung nach Übernahme der Krankenhauskosten bei schweren Erkrankungen, eine kostenfreie Kinderbetreuung und die teilweise Übernahme des in Korea sehr teuren Schulgelds der Privatschulen ins Wahlprogramm aufgenommen. Das klingt sehr sozialdemokratisch und sie unterschied mit diesen Vorstellungen nur wenig von dem Wahlprogramm ihres linken Kontrahenten um das Präsidentenamt.
Wenig Neues in der Nordkoreapolitik
In der Politik gegenüber Nordkorea versprachen alle drei Kandidaten von der kompromisslosen Haltung Lee Myung Baks abzuweichen. Lee hatte bis auf wenige Ausnahmen Lebensmittellieferungen und wirtschaftliche Hilfe für Nordkorea abgelehnt, weil Nordkorea nicht zur Beendigung seines Nuklearprogramms bereit war. Park Geun Hye verknüpft die Bereitschaft zur Hilfe für den Norden dann aber doch wieder mit der nuklearen Abrüstung als Vorbedingung für die Hilfe. Moon Jae In hingegen wollte Hilfen und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Nordkorea an keinerlei Bedingungen binden. Er schlug vielmehr in Anknüpfung an die Nordkoreapolitik des früheren Präsidenten Roh Moo Hyun einen Fünf-Jahres-Plan zur Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen mit Nordkorea vor. An dessen Ende würde eine Wirtschaftsunion stehen, die zu einer Vereinigung mit dem Norden führen sollte. Von Realismus gegenüber Nordkorea zeugten diese Pläne nicht.
Außenpolitisch wird Park Geun Hye an der Allianz mit den USA festhalten. Die Beziehungen zu China will sie verbessern, nachdem diese seit 2010 infolge der Affäre um die südkoreanischen Korvette Cheonan angespannt waren. Aber sie wird keine Annäherung an China betreiben, wie sie Moon Jae In beabsichtigte, der ähnlich wie Roh Moo Hyun mit dem Gedanken einer Äquidistanz in den Beziehungen zu China und den USA spielte.
Die Beziehungen zu Japan sind für Park Geun Hye ein heikles Kapitel, weil ihr Vater als ehemaliger japanischer Offizier von der südkoreanischen Opposition nicht nur als Diktator sondern auch als Kollaborateur betrachtet wird. Park muss im Streit mit Japan um die Dokdo/Takeshima Inseln und in der Auseinandersetzung um Entschuldigung und Entschädigungszahlungen für die von der japanischen Armee in die Prostitution gezwungenen Koreanerinnen einen kompromisslosen Kurs fahren. Bei jedem Anzeichen von Kompromissbereitschaft in diesen beiden Punkten wird ihr mit Sicherheit wieder die Vergangenheit ihres Vaters vorgeworfen werden.
Vermutlich wird sie gegenüber Japan dennoch einen pragmatischeren Kurs einschlagen und auch einen Freihandelsvertrag aushandeln. Ihr Kontrahent Moon Jae In hingegen lehnte einen Freihandelsvertrag (FTA) mit Japan ab – zum einen wegen dessen Besitzanspruch auf die Dokdo/Takeshima Inseln und zum anderen wegen der nur halbherzigen Anerkennung der Zwangsprostitution während des japanischen Kolonialregimes.
Diktatorin oder Demokratin?
Park Geun Hyes ist in der Öffentlichkeit nicht unumstritten. Die einen schildern sie als autoritäre Persönlichkeit mit diktatorischen Zügen, andere sehen in ihr eine warmherzige, offene und pragmatische Person. Das Bild von ihr als autoritärer Persönlichkeit hängt auch mit ihrer Herkunft als Tochter des Militärdiktators Park Chun Hee zusammen. Das linke gesellschaftliche Lager befürchtet von ihr einen Rückfall in dessen diktatorische Regierungspraktiken. Andere sehen in ihr eine pragmatische Politikerin, die die wirtschaftliche Teilung Südkoreas beenden will.
Um dem Vorwurf "Diktatorentochter" zu begegnen ist es nun wichtig, dass Park Geun Hyes der äußerst fragwürdigen Verfolgung der politischen Gegner unter dem noch bis Februar amtierenden Präsident ein eindeutiges Ende setzt. Lee Myung Bak hatte sich zuweilen undemokratischer, halbillegaler Machtmittel bedient, um seine Gegner zu verfolgen. Falls Park Geun Hye mit diesen Praktiken nicht Schluss macht, könnte das die ideologische Spaltung der südkoreanischen Gesellschaft noch weiter vertiefen und die wirtschafts- und sozialpolitischen Reformansätze der neu gewählten Präsidentin gefährden.
Siegfried Knittel ist Journalist und lebt in Tokio.